Lieschen Radieschen
Das Tierheim, in dem Klausi von nun an viel Zeit verbrachte, arbeitete auch mit einem Verein zusammen, der sich um die hiesigen Straßenkatzen kümmerte. Manchmal nahm das Tierheim ein paar der Katzen auf, wenn der Verein keine Pflegestellen mehr frei hatte. Die Leute vom Verein fingen die Katzen ein, ließen sie kastrieren und brachten sie in der Regel zurück an den Platz, an dem sie sie eingefangen hatten. Aber es gab immer welche, die anderweitige Hilfe brauchten, weil sie krank, verletzt oder einfach noch zu klein waren – diese wurden dann auf Pflegestellen untergebracht.
Als der kleine Klaus an diesem Nachmittag im Tierheim ankam, gab es dort ein neues kleines Kätzchen. Es war ein Perserkätzchen, gerade mal wenige Monate alt. Ganz verschüchtert kauerte es in der Höhle eines Kratzbaums.
Den Tierheimmitarbeitern war längst bewusst, warum dieses Katzenkind ausgesetzt worden war, doch Klausi hatte sich um solche Dinge noch nie Gedanken gemacht.
An diesem Tag war er sehr müde und legte sich für eine Weile auf das Sofa, das im Katzenzimmer stand. Seinen moppeligen Plüschhund mit den orangefarbenen Ohren und der Klugscheißerbrille auf der Nase, hatte er stets bei sich und so schlief er auch zügig ein. Und er träumte von dem kleinen Perserkätzchen:
Das Kätzchen wurde mit fünf weiteren Geschwistern bei jemandem geboren, der die Katzen für „kleines“ Geld im Internet anbot. Bei einem renommierten Züchter hätten sie um ein vielfaches mehr gekostet. Dennoch konnte dieser Jemand mit Katzen, die aus der Art schlugen, kein Geld verdienen und so wurde dieses kleine Katzenmädchen schlichtweg entsorgt. Zum Glück machte er sich wenigstens ein kleines bisschen Gedanken und setzte das Kätzchen an einem Ort aus, von dem er wusste, dass dort ein paar Straßenkatzen gefüttert wurden.
Doch auch die Straßenkatzen waren nicht begeistert, denn sie mochten keine fremden Katzenkinder, die ihren Lebensrhythmus auf den Kopf stellten.
So verlor das kleine Mädchen nicht nur seine Mama und seine Geschwister, es wurde zudem auch noch von den anderen Katzen gemobbt.
„Du willst eine Perserkatze sein? Du hast doch Ohren wie Radieschenblätter, die sind doch viel zu groß! Und deine Nase ist ja auch viel zu lang. Und überhaupt, mit deinem langen Fell sammelst du doch nur Flöhe und verteilst sie wieder an uns.“
Eigentlich hieß das Kätzchen Lisa, doch alle nannten sie nur noch Lieschen Radieschen.
Die Straßenkatzen mochten solche Eindringlinge nicht, weil sie sich oft ganz anders verhielten. Nun war Lieschen noch sehr klein und hatte bei den Menschen noch kaum etwas kennengelernt und hätte sich sicher noch angepasst. Doch der Winter war bitterkalt und da sie zu erfrieren drohte, nahm die Futterfrau sie mit und brachte sie ins Tierheim.
Klausi wachte kurz auf, weil er spürte, wie sich das Kätzchen an ihn gekuschelt hatte. Er schaute sie sich einmal ganz genau an und wunderte sich über das, was er geträumt hatte. An seiner Seite lag doch ein wunderschönes Kätzchen. Lieschen Radieschen schnurrte sich an seiner Seite in den Schlaf und auch Klausi schlummert wieder ins Land der Träume:
Lieschen Radieschen war sehr traurig, denn die Straßenkatzen hatten sie aus demselben Grund ausgelacht, aus dem es von seinem Menschen ausgesetzt wurde. Es entsprach nicht der Norm! Die Ohren und die Nase zu groß, das Fell zu struppig – warum konnte es nicht so schön wie seine Geschwister sein? Warum nur war es so anders? Und warum wurde es deshalb verstoßen?
Das kleine Kätzchen wirkte nicht nur sehr traurig, es verlor auch sein komplettes Selbstbewusstsein. Das Einzige, was ihm blieb, war die Hoffnung, denn es erinnerte sich an den hellleuchtenden Sternenhimmel in der Heiligen Nacht, der alle Tiere in Hoffnung auf ein besseres Leben versetzt hatte.
Und so war es dann auch. Als Klausi aufwachte und es in dem Katzenzimmer nach frischem Pansenpups roch, wusste er ganz genau, was zu tun war.
Er legte seinen hell leuchtenden Karma-Klaus zur Seite und streichelte das Kätzchen. Zum ersten Mal fühlte Lieschen Radieschen sich geliebt und verstanden. Klausi krabbelte ihre Radieschenblättrigen Ohren und erzählte ihr, wie wunderschön die doch seien. Und er stupste ihr mit seinem Finger auf ihr Näschen und fragte: „Riechst du das? Das können nur ganz besonders sensible Wesen riechen und ist auch nur für ganz besondere Nasen bestimmt.“
Lieschen hielt die Nase in die Luft und sagte: „ Oh, das riecht ja wie Pansenpups mit Sternenstaub! Und das kann wirklich nicht jeder riechen?“
Klausi erzählte ihr dann von seinem Freund Karma-Klaus und das die Menschen immer nur den Geruch von frischem Pansenpups wahrnehmen würden, ihnen aber für den Sternenstaub die Sensibilität fehle. Und auch die meisten Tiere könnten das nicht wahrnehmen, - das könnten nur die ganz besonderen, die mit einer ganz besonderen Aufgabe.
Lieschen wurde immer neugieriger. Was würde das denn wohl für eine besondere Aufgabe sein?
Klausis Mama kam aber dann schon bald, um ihn abzuholen und Lieschen Radieschen blieb im Katzenzimmer zurück.
Doch Andrea staunte nicht schlecht, als sie noch einmal nach ihrem Neuzugang schauen wollte. Sie rechnete fest damit, das kleine Kätzchen zusammengekauert in der Höhle des Kratzbaums vorzufinden. Aber Lieschen präsentierte sich stolz auf dem Sofa sitzend in seiner wahren Pracht.
Sah sie auch nicht rassetypisch aus, war sie doch eine unverkennbare Schönheit mit einer ganz besonderen Ausstrahlung.
Wie hatte Klausi denn das schon wieder hingekriegt? Und wieso roch es in einem Katzenzimmer nach frischem Pansenpups? Dieser Geruch gehörte doch eigentlich ganz woanders hin.
Als Klausi am nächsten Tag wieder im Tierheim ankam, konnte er sich so gerade noch von seiner neuen Freundin verabschieden. Sie hatte ein ganz besonderes Zuhause gefunden. Dadurch, dass sie sich in dieser kurzen Zeit schon so sensibel, so feinfühlig gezeigt hatte, sollte sie von nun an die Begleiterin eines kleinen autistischen Mädchens werden.
Und Klausis nächster Traum bestätigte ihm, wie wundervoll dieser Weg für beide war – für das Mädchen und für Lieschen Radieschen.
Beide waren anders, aber auch besonders in ihrer Sensibilität! So wuchsen sie zusammen auf und schenkten sich gegenseitig immer wieder Liebe, Ruhe, Kraft und Vertrauen in das Leben!
Und die Eltern des Mädchens bereuten nie, dass sie diesem merkwürdigen Züchter, den sie im Internet gefunden hatte, nicht auf den Leim gegangen sind und sich für dieses kleine Kätzchen im Tierheim entschieden hatten. Lieschen war die perfekte Katze für ihre perfekte Tochter! Denn sie liebte beide ganz genau so, wie sie waren.
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